Warum ich alle zwei Jahre Fußball mag

Bundesliga? Nicht mein Ding. Aber auch ich bin nicht komplett immun gegen Fußball. Alle zwei Jahre sitze auch ich vor dem Fernseher und feier die Deutsche Nationalmanmnschaft. Ich gebe es offen zu: Ich bin ein Event-Fan. Und hier erkläre ich euch, warum.

2006. Es ist Sommer und wir stehen in wallenden Röcken und Flip Flops in Köln am Rhein. Während der WM in Deutschland gibt es hier in Deutz ein großes Public Viewing am Wasser. Für Trikots war leider keine Kohle da, deshalb tragen wir schwarz-rot-goldene Blumenketten um den Hals und um die Hüften – diese einfachen Ketten aus Plastik, die nach der WM noch monatelang bei uns in der WG-Küche am Regal rumgehangen haben, weil niemand es übers Herz gebracht hat sie wegzuschmeißen. Zehn Jahre ist das inzwischen her und trotzdem erinnere ich mich an das Spiel im Viertelfinale zwischen Deutschland und Argentinien als wäre es gestern gewesen: Sommerabend, Kölschflaschen in der Hand und diese Leichtigkeit, die wir vor allem mit uns herumtrugen, weil wir studiert haben. Vorlesung morgen um 08:00? Egal. Die Prüfung ist ja erst in vier Wochen.

1 und 2 und 3 und 54.. 74.. 90.. 2006..

Laut haben wir alle zusammen den Song der Sportfreunde Stiller gegrölt und daran geglaubt, dass wir Weltmeister werden. 1 und 2 und 3 und 54.. 74.. 90.. 2006.. ja so stimmen wir alle ein. Hat nicht geklappt damals mit dem Weltmeister werden, aber dieses Spiel gegen Argentinien hat sich wie ein Finale angefühlt. Die Argentinier schießen dieses plötzliche Kopfballtor und gehen in Führung. Ich raste innerlich aus bis Klose endlich den Ausgleich schießt. Auf einmal scheint alles möglich, wir liegen uns in den Armen, feuern die Nationalelf an, als könnten sie uns von Köln bis nach Berlin hören und wir glauben an den Sieg. Beim Elfmeterschießen liegt eine unfassbare Spannung in der Luft.

Der berühmte Spickzettel wandert zu Lehmann. Immerhin hat er uns möglicherweise ins Halbfinale geholfen, weil unser Torwart so vorher wusste welcher Spieler am liebsten in welche Ecke schießt. Beim Elfmeterschießen selbst muss ich immer wieder weggucken. Zu aufregend. Dieses Spiel und die Party danach auf der Zülpicher Straße, das sind einige Wegmarken, die sich für immer in meinen Kopf gemeißelt haben. Geruch nach Sommer und Bier, das Gefühl von leichter Kleidung und wenig Stimme, weil viel gegrölt und dazu Gänsehaut, wenn alle ihre Mannschaft anfeuern und die Sportfreunde Stiller aus den Boxen tönen. Es ist eine einzigartige, zwischenmenschliche Energie, die besonders bei solchen Events entsteht. An die darauffolgende Niederlage gegen Italien erinnere ich mich nicht mehr gut. Wozu auch.

Haminamina eh eh Waka Waka Ehhhhehhh

Vier Jahre später stehen wir in Ehrenfeld auf einem Platz und feuern die Nationalelf gegen England an. Es ist brütend heiss, weil das Spiel am Nachmittag stattfindet. Der Sommer hüllt sich in ein Surren – überall diese nervigen Vuvuzelas, wenn es dauerhaft klingt, als würde jemand ein Wespennest in die Mülltonne werfen. Diese Tröte, das Symbol aus dem südafrikanischen Fußball. – Ich möchte behaupten, dass das niemand vermisst hat. Dazu dieser Shakira-Song, den niemand wirklich mitsingen konnte. „Haminamina eh eh Waka Waka Ehhhhehhh… it’s time for Africa.. lalala.“ Ihr wisst schon. Ich mag diesen Song, obwohl er ein unfassbarer Ohrwurm ist. – Einfach weil er mich an diesen Sommer erinnert, an warmes Bier aus 0,5 Flaschen und die Tänze nach dem Sieg gegen England, als wir den ganzen Ring runter getanzt sind bis nach Hause.

Zum Glück gibt es in Köln eine großartige Kiosk-Kultur mit Bier rund um die Uhr. Alle tanzen gemeinsam, als hätten sie etwas zum Fußballsieg dazugetan – wir bilden uns ein es wäre unser Verdienst, dass Deutschland 4 zu 1 gegen England gewonnen hat. Die Sportfreunde Stiller dichten ihren Song mal eben um und auf einmal heisst es „54.. 74.. 90.. 2010, ja so stimmen wir alle ein. Mit dem Herz in der Hand und der Leidenschaft im Bein werden wir Weltmeister sein.“ Oder auch nicht. Noch nicht.

 

2014: Es hat endlich geklappt und ich bin sicher, dass unsere Trikots etwas mit dem Titel zu tun hatten

Wenn ich bei Europameisterschaften oder Weltmeisterschaften nicht in Köln sein kann, vermisse ich diese wunderbare Stadt besonders. In Köln habe ich gelacht, geweint, gefeiert. Ich habe die Sonne aufgehen sehen, im Park gesessen und das Leben gefeiert. Ich bin von links nach rechts zu den Extremen des Lebens gelaufen. – Von mega happy bis „was mache ich hier eigentlich“ war alles dabei. Diese WM-Momente gehören zu den besten aus dieser Zeit. Deshalb widme ich ihnen gerade jetzt, wo das EM-Fieber hochkocht, ein paar Zeilen. Wie schön, dass die Erinnerung besonders diese Gänsehautmomente in den strahlendsten Farben in unser Gedächtnis meißelt. Damit sie nicht weglaufen. So können wir sie in schlechten Zeiten auspacken und wieder die Wärme und den Jubel spüren. Ich bin sicher, dass das für jede Lebenslage nützlich ist.

Eine Liebeserklärung: Wahre Freundschaft hält Distanz aus

Freundeschaft verändert sich. Manchmal verblasst sie. Manchmal endet sie. Leider. Aber meine Erfahrung hat mir gezeigt: Stimmt die Substanz, bleibt die Freundschaft erhalten – auch wenn einer von beiden weit weg lebt.

Aus den Boxen dröhnt „Lo que paso paso“ von Daddy Yankee. Wir schreien jede Zeile mit. Laut und schief: „Esta noche contigo la paseeee bieeeen. Ooohoooooo….“ Unz tata unz unz, unz tata unz unz. Reggaeton halt. – Der wollte ja noch nie besonders einfallsreich sein, aber mich bringt er immer zum tanzen. Es ist drei Uhr morgens – langsam ist der Club in Santiago voll.

Gemeinsam in der zweiten Heimat „Chile“

Schminken können sie noch üben…

Meine Freundin Miri und ich sind zusammen hier – es ist unsere große gemeinsame Reise im Jahr 2006. Wir tanzen, drehen uns im Kreis, lachen uns an – die Augen etwas glasig vom Escudo-Bier. Die Gesichter dezent überschminkt. Zwischendurch werden wir von ein paar Jungs zum Tanz aufgefordert – wir drehen ein paar Runden mit ihnen, aber finden immer wieder zueinander zurück. Einer dieser unzähligen Momente, die ich nie vergessen werde.

 

Im Canyon del Colca in Peru

Bunte Erinnerungen und ein ewiger Soundtrack

Es sind die Erinnerungen, untermalt von einem besonders guten Soundtrack, die Freundschaften zusammenhalten. Erinnerungen, die uns aneinanderkleben. Sie sind eine Art klebrige Masse, die sich in unseren Köpfen festgesetzt hat – So ähnlich wie der Ahornsirup, der die verschiedenen Lagen einer Pfannkuchentorte zusammenhält, kleben die Erinnerungen zwischen uns und den Menschen, die uns im Leben begleiten.

Kennengelernt: Am ersten Tag der Uni. Die Basis: Chile

Als Miri und ich in Chile waren, kannten wir uns bereits ein paar Jahre. Wir haben uns am ersten Tag an der Uni kennengelernt, als wir nebeneinander zum Geschichtsseminar in der Uni-Bibliothek in Köln gelaufen sind. Beide noch etwas verloren an dieser Massenuni, bereit das Kapitel „Studium“ zu beginnen und doch voller Angst. Unsere Blicke haben sich getroffen: „Gehst du auch zu Geschichte?“ „Ja! Studierst du auch Regionalwissenschaften Lateinamerika?“ „Ja, genau! Ich bin in Chile geboren worden.“ „Ach krass, ich auch.“ Lächeln.

Wie haben gemeinsam geweint, gelacht und Herzen geheilt

Das Eis war gebrochen: Nach zwei Minuten war klar, dass wir uns mögen und Zeit miteinander verbringen wollen. Zu zweit sind wir durch die Kölner Clubs gezogen, haben Kaffee an der Uni getrunken solange wir ihn uns leisten konnten, Schawarma an der Zülpicher Str. gegessen, Tracks von „Muse“ gehört, Karneval gefeiert, Pasta gekocht, „Autogenes Training“ ausprobiert und für uncool befunden und stundenlang über Männer sinniert. Wir haben gemeinsam geweint als Beziehungen zerbrochen sind, haben uns immer wieder gesagt, dass der eine ganz bestimmt noch auf uns wartet und dann haben wir „unabhängig sein“ geübt.

Viel zu lachen in Peru

Eine unkomplizierte Freundschaft

Es ist eine dieser intensiven, unkomplizierten Freundschaften: Ohne Stress – mit viel Wertschätzung. Allerdings hatte ich immer weniger Geduld als Miri. Als ich nach Chile reisen wollte, kam sie erst nicht hinterher. Sie konnte sich nicht entschließen den Flug zu buchen. Also habe ich Fakten geschaffen – meinen Flug gebucht und ein paar Wochen später hatte Miri dann auch ein Ticket.

30 Stunden im Bus

Mit dem Rucksack haben wir uns in Santiago in den Bus gesetzt, sind 30 Stunden bis in die nördlichste Ecke von Chile, nach Arica gereist und das war erst der Anfang. Von Tacna über Arequipa sind wir bis nach Cusco und Machu Pichu gereist. Dort haben wir mittags neben Lamas unter Bäumchen geschlafen – mitten im Weltkulturerbe. Wir waren in San Pedro de Atacama und konnten die Schönheit der Welt nicht in Worte fassen.

Es waren intensive Wochen und doch haben wir uns nur genau einmal angezickt. In Iquique am Strand. Hinterher haben wir übrigens festgestellt, dass wir in dem Moment beide überspannt waren, weil wir BEIDE unsere Periode bekommen hatten. Rückblickend ironisch.

Valle de la Luna, Chile

Wenn ich kurz meine Augen schließe, sehe ich uns im Bus auf einer der vielen langen Fahrten. Miri liegt neben mir auf dem Sitz und schläft. Ich höre Muse oder Coldplay und versuche die sagenhafte Natur mit meinen Augen zu fotografieren.

Mal in Nostalgie schwelgen – mal neue Erinnerungen schaffen

In manchen Jahren haben wir viel Zeit miteinander verbracht – in anderen Jahren waren wir nicht am gleichen Ort. Und in dieser Zeit merke ich immer, welche Substanz eine Freundschaft wirklich hat: Lebt man sich auseinander? Oder ist es nur eine kurze Pause, nach der sich alles wieder wie früher anfühlt? Und: Schafft man es beim Wiedersehen neue Erinnerungen zu schaffen oder dreht man sich im Kreis und quirlt nur die alten Zeiten durch? Ich persönlich glaube, dass beides wichtig ist: In Nostalgie schwelgen und dann gemeinsam Neues erleben, neue Erinnerungen schaffen.

San Pedro de Atacama – Laguna Cejar

Ende des Studiums und am Anfang des Berufslebens hatten Miri und ich noch einmal so eine intensive Zeit in Köln, an die ich gerne zurückdenke: Viele bunte Erinnerungen sind das: Miri, Athene und viel „Gin Tonic“, Filme mit Gael Garcia Bernal, Tage am Rhein, Gespräche über die Serie „Gossip Girl“ (kein Scherz), natürlich immer wieder Reggaeton, Julieta Venegas, manchmal ein Glas Whiskey on the rocks und im Winter mal ein Becher Grog. Ja, echt. Wow. Dazu lange Abende am alten, runden Tisch in der Wohnküche meiner Wg, Gespräche über Männer, darunter welche, die uns gut taten und andere, die vorbeiziehen sollten. Es ging viel um verpasste Chancen und neue Wege.

Natürlich gab es auch gemeinsame Whatsapp-Analysen: „Warum schreibt er nicht?“ Oder: „Warum ist der so wortkarg? Zeig mir den mal, dann kann ich den überprüfen. Ist er vielleicht doch socially awkward?“ Ihr kennt diese Analyseabende mit Sicherheit von Treffen mit euren besten FreundInnen. Diese Abende, an denen man zwar die großen Liebesprobleme nicht lösen kann, dennoch fühlt es sich gut an gemeinsam darüber nachzudenken. – Und hinterher darüber zu lachen! – „Weisst du noch? Als du auf eine Nachricht von DEM gewartet hast?“ „OMG, ja!“

Freundschaft für immer

Miri ist eine dieser Freundinnen fürs Leben. Inzwischen wohnt sie in Kolumbien. Wegen der Liebe – zum Land und zu einem Mann. Ich gebe zu: Ich war traurig als sie mir eröffnet hat, dass sie so weit wegzieht. – Womöglich für immer. Aber nur auf einer Seite des Herzens – auf der anderen Seite habe ich mich diebisch gefreut, dass Miri das gefunden zu haben scheint, was wir uns an jenen langen Abenden erträumt haben: Einen Partner, einen Freund, einen Gefährten, einen Komplizen, einen Menschen, der ihr hoffentlich Herzen und Strahlen in die Augen zaubert.

Miri 2015 in Karlsruhe

Gin al Tony

Seit Miri in Kolumbien wohnt haben wir wenig Kontakt. Aber jede kleine Nachricht von ihr ist ein Geschenk. Umso gerührter war ich, als ich vor kurzem eine lange Nachricht von ihr bekommen habe. Es war ein Text, der mir gezeigt hat, dass Miri unserer Freundschaft den gleichen Wert beimisst wie ich es tue. – Sie hat geschrieben, dass sie oft an mich denkt und dann einen Gin Tonic (oder wie sie ihn dort in einer Bar liebevoll nennen: Gin al Tony) auf unsere Freundschaft trinkt. Sie scheint genauso häufig wie ich unsere Nostalgie-Latino-Playlist zu hören und an unsere Studienzeit zu denken. Sie hat geschrieben, dass ich immer ihre Freundin sein werde. Ganz egal wie selten wir uns sehen. Spätestens an der Stelle habe ich geweint vor Glück. Ein paar Zeilen können unfassbar viel bedeuten: Eine kleine Liebeserklärung und gleichzeitig eine neue Erinnerung für die Zukunft. Ich werde diese Nachricht abschreiben. Nicht, dass irgendwann mein Handy kaputtgeht und ich sie nicht mehr habe.

Herz

Liebe Miri, wenn du da bist, ist das Leben immer ein bisschen leichter, bunter und zauberhafter. Und wenn du nicht da bist, ich aber weiss, dass es dir gut geht, freue ich mich für dich. Jeden Tag. Ich bin froh, dass wir zwei uns haben. Egal, ob du nah bist oder fern. Ich weiss, dass wir für einander da sind. Und wenn wir uns wiedersehen, läuft Daddy Yankee und alles ist wie es sein soll. Gestern. Heute. Morgen. Immer.

Auf die Freundschaft

P.S. Eine solche Geschichte könnte ich über jede meiner liebsten Freundinnen schreiben. Fühlt euch alle geherzt.

Fotos: Athene Pi Permantier, Miriam Heins

P.P.S. Selfies haben wir übrigens schon immer gemacht:

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Ein Sonntag im Mai in Karlsruhe: Alter Schlachthof

Der Sonntag hat sich schön gemacht: Die Sonne scheint, es ist 26 Grad warm und wir sausen in kurzer Hose auf dem Rad quer durch Karlsruhe. – Zum „Alten Schlachthof“, denn da ist Tag der offenen Tür.

Die Haare fliegen, das Leben fühlt sich leicht an. Es ist der erste Tag in diesem Jahr, an dem ich die Wärme so wahrnehme. Ich grinse mit mir selbst um die Wette, strahle jeden an, der mir auf dem Rad entgegenkommt und will damit sagen: “ Ist dieser Tag nicht perfekt? Sollte es nicht immer genau so sein?“ Natürlich nicht, denn dann wäre es nichts besonderes mehr. Aber an Tagen wie diesen kann ich mich in meiner Stadt, zu Hause wie im Urlaub fühlen. Es ist ja auch eine Art Mini-Urlaub. Es ist das erste freie Wochenende seit langen. Das macht diesen Moment zum Glück zum Quadrat. Es gibt keinen Ort auf der Welt, wo ich gerade lieber wäre. Das alte graue Fahrrad fährt noch – es hat immerhin drei Gänge. Der Wind lässt die Beine spüren, was sie so lange vermisst haben: Freiheit und Luft.  Über den Winter hatte ich ganz vergessen, wieviel besser es sich in kurzer Hose lebt.

Ausflug: Alter Schlachthof

Wir machen einen Ausflug und landen am „Alten Schlachthof“ in Karlsruhe, denn da ist heute Tag der offenen Tür. Die Büro-Gemeinschaften, Cafés und Clubs haben alle geöffnet, um uns zu zeigen was sie normalerweise arbeiten. Ich war bisher noch nie in der Gegend und fühle mich auf dem alten Gelände wie in Fancy-Hausen. Lauter alte Schlachthof-Gebäude, die umgebaut worden sind zu Orten, wo Menschen jeden Tag arbeiten. In der alten Hackerei zum Beispiel erinnern die Kacheln an der Wand noch daran, was da früher einmal gemacht worden ist. Heute finden hier Partys und kleine Konzerte statt. In manchen Gebäuden ist die Essenz der Architektur erhalten geblieben und daneben sind neue Elemente eingezogen worden, damit da Menschen kreativ werden und arbeiten können. – In Containern zum Beispiel.

Alter Schlachthof

Auch ein Autor von Surfbüchern hat in einem solchen Gebäude zum Beispiel seinen Schreibtisch stehen und tippt seine Texte, wenn er nicht gerade an der Algarve surfen ist. Ich bin begeistert auf wieviele tolle Ideen Menschen kommen, um alte Räume mit Geschichte so zu modernisieren, dass der Charakter erkennbar bleibt und trotzdem wirkt auf einmal alles urban und modern.

Die Zeit rennt, wir sind stundenlang über das Gelände flaniert, haben Unmengen Kaffee, Eis, Pommes und andere Schweinereien genossen und dann, als es vorbei hätte sein können, haben wir uns in ein Café gesetzt. Einfach so. Wir saßen in der Sonne, bis es spät war. Und es war perfekt. Das war einer dieser Momente, wo das Glück kurz greifbar war.

Heute habe ich Karlsruhe von einer neuen Seite kennengelernt. Dafür bin ich dankbar. Die Schönheit in den Dingen, die so naheliegend sind, beeindruckt mich besonders.

Foto: Raphael Pi Permantier

Kultur: Auf der Suche nach gutem Kaffee in Chile

Ich hätte gern einen Kaffee.“ – „Mit Milch und Zucker?“ – „Nein, nur mit Milch. Danke!“ Als wäre es gestern gewesen erinnere ich mich an den Moment, als ich einen Styroporbecher mit Nescafé und Milch in die Hand gedrückt bekomme. Das war vor etwa 10 Jahren. Inzwischen hat sich einiges in Chile geändert. Kommt mit auf die Reise. 

Ich stehe in einem kleinen Café in der Nähe der Redaktion der Tageszeitung „La Tercera“ in Santiago, wo ich damals ein Praktikum angefangen habe. Vor dem Start wollte ich mir ein wenig „Mut“ antrinken. Normalerweise hilft da bei mir nichts besser als Kaffee. Aber Nescafé ist für mich eigentlich kein Kaffee, also versuche ich das Gesöff möglichst schnell herunterzubekommen, atme einmal tief aus und starte mein Praktikum. In meinem Kopf rattert es: Warum bin ich in Lateinamerika und bekomme Pulverkaffee? Strange.

Warum lieben die Chilenen Nescafé?

Seit ich Chile als Kaffee-trinkende Person kenne und schätze, spielt Nescafé eine unfassbar große Rolle.

Offenbar auch deshalb, weil Nestlé in den siebziger Jahren eine große Kampagne gestartet hat – von wegen „Heeeyy dieser Kaffee ist einfach zuzubereiten… und überhaupt: bisschen Zucker dran.. und Milch – oder Milchpulver und zack. Getränk fertig. Niemand brauch mehr eine Kaffeemaschine – praktisch.“ Jau und ekelig. Das wurde mir zumindest zum Thema erzählt.

Cafés con piernas

Witzigerweise stammt eine sehr ungewöhnliche, sexistische chilenische Kaffeeidee auch aus den siebziger Jahren: Die „Cafés con Piernas“ – also Cafés mit Beinen. Die ersten davon hießen „Café Haiti“ und „Café Caribe.“ Stellt euch vor, ihr kommt in einen solchen Laden und das erste was euch auffällt sind die Frauen, die da bedienen, denn sie tragen alle Minikleider. (In den ganz krassen Läden wohl sogar nur Bikinis oder noch weniger, aber da bin ich noch nie reingegangen.) Die Tresen schlängeln sich durch das Lokal und sind so gebaut, dass alle Gäste die Beine der Bedienungen bewundern können: Die Tresen sind sozusagen unten rum frei. – Damit auch nichts vom Bein versteckt bleibt, stehen die Frauen etwas höher als alle, die einen Kaffee bestellen und gaffen.

Als ich diese Cafés zum ersten Mal gestehen hab, ist mir echt der Mund offen stehengeblieben. Klar: Hier bedienen nur Frauen und sie werden auf ihre Beine reduziert. Viele Chilenen kommen hierher, um in der Mittagspause zu gaffen und einen „richtigen“ Kaffee zu genießen. Denn das ist der Clou: In den „Cafés con Piernas“ gab es schon immer echten Bohnenkaffee. Verrückt, welche Wege der Kaffee in Chile gehen muss, um gekauft zu werden. Wer sich in Santiago nicht so gut auskennt: Diese Cafés gibt es überall verstreut in der Innenstadt. Ihr erkennt sie einfach an den offenen Tresen, den vielen Spiegeln und dem Minikleid-Dresscode der Bediensteten. Bescheuert. Und skurril. Aber ja: Der Kaffee ist ganz ok.

Wie findest du guten Espresso mit Milchschaum?

Das ist ein besonders großer Cortado

Lange – bis etwa 2010 war es für mich die sicherste Variante zu fragen: „Hay café cortado?“ Das ist ein kleiner Espresso mit ein wenig aufgeschäumter Milch. Keine italienische Barista-Kunst, aber da weisst du was du hast. In Santiago gibt es seit jeher Cafés, die Cortado anbieten, aber in den kleineren Städten musst du schon genauer suchen. – Am besten immer kurz die Kaffeemaschinen-Lage checken. Trotzdem hatte ich bei längeren Chileaufenthalten immer großes Heimweh nach gutem Kaffee: Nach einer großen Tasse mit viel Milchschaum und Espresso, der kein bisschen bitter ist.

Wie es die Ironie der Geschichte und die Liebe der Chilenen zu großen Marken so will, hat es ein anderer großer Platzhirsch schließlich geschafft, dass „gemütlich Kaffee trinken“ oder auch mal im Café arbeiten oder lernen IN geworden ist: Welcome to „Starbucks“. Große Sessel, fancy Getränke mit viel Zucker und so teuer, dass ich das Zeug in Chile fast als Luxusgut bezeichnen würde. 2003 ist die Kette nach Chile gekommen und inzwischen gibt es in Santiago an jeder Ecke eine Filiale. Vor allem in Providencia kannst du manchmal von einer Starbucks-Filiale zur nächsten spucken. Und die Dinger sind immer voll! Wahnsinn! Ich weiss nicht, ob es wirklich einen kausalen Zusammenhang zwischen der steigenden Nachfrage nach gemütlichen Kaffees und der Ausbreitung von Starbucks gibt (das könnte ich mal langfristig erforschen) – einen zeitlichen gibt es aber auf jeden Fall.

Der neue Espresso-Boom

Cafe

Ich war 2010 in Chile, 2013 und vor kurzem wieder, also 2016. Mit jedem Besuch fallen mir in den letzten Jahren in Santiago neue, kleine, gemütliche Cafés auf: Im Viertel Lastarria zum Beispiel ist es kein Problem einen Latte nach Barista-Art zu bekommen – auf Wunsch mit laktosefreier Milch. Im Barrio Italia reiht sich eine Galerie mit Shops und Cafés an die nächste.

Auch in Valparaiso gibt es auf den berühmten Cerros Alegre und Concepción lauter kleine Cafés mit italienischer Kaffeemaschine und Wahnsinnsausblick über die Bucht. Das sind Cafés mit stylishen alten, zusammengewürfelten Möbeln in renovierten alten Gebäuden. – Oft mit Holzboden. Diese Häuser erzählen die Geschichte von Valparaiso und bei einem Kaffee stelle ich mir die Geschichte des Raums vor, in dem ich gerade sitze: War es mal ein Schlafzimmer? Oder eine Küche? Oder einfach die Galerie, wo immer die Wäsche getrocknet worden ist? Das sind ganz aufregende Orte.

Kaffee

Ich wünsche mir, dass dieser Trend zu richtigem, italienischem Barista-Kaffee keine kurze Welle ist. Ich wünsche mir, dass es so weitergeht und dass die 10 verschiedenen Größen Nescafé im Supermarkt in Zukunft Kaffeebohnen in unterschiedlichen Röstungen weichen. Und dass es so auch in den Haushalten kleine Espressokocher gibt.

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Kaffee- und Kuchenparadies Valparaiso

P.S. Ein Geständnis noch: Es ist – wie es immer ist mit Dingen, die dich an eine gute Zeit erinnern. Bis heute trinke ich nach jeder Ankunft in Santiago einen Nescafé bei meiner Gastfamilie. Denn der Geschmack erinnert mich an das Santiago, wie ich es in der Schul- und Unizeit kennengelernt habe. Und er zeigt so viel über die chilenische Kultur.

Skurrile Geschichten aus Bali

Bali und seine verrückten Geschichten

Bali: Was eine verrückte, touristische und doch magische Insel. Am meisten beeindruckt haben mich – neben der Natur – die kleinen Geschichten, die ich von den Menschen dort erfahren habe. Geschichten aus und über das Leben in Bali. Besonders und klasse.

Auf einer Fahrt von Kuta nach Ubud haben wir viel mit unserem Fahrer gesprochen. Er hat uns erzählt wie er sich seinen Führerschein gekauft hat und warum es auf Bali keine Wolkenkratzer gibt. Und auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass das alles so stimmt: Diese Geschichten sind es, an die ich mich noch in vielen Jahren erinnern werde. Sie sind das was bleibt und das was mich für immer mit den Menschen auf Bali verbindet: Unsere Gespräche, der Austausch über die Kultur, handeln an den Ständen und die Freude wenn wir uns einig geworden sind.

Im Grunde nehmen wir ja immer wieder Geschichten mit, behalten sie und wenn wir sie oft genug erzählen, bleiben sie uns immer erhalten.