Warum warst du noch nie im Nationalpark Torres del Paine? Die Antwort ist ganz einfach: Ich hasse wandern. Deshalb habe ich es all die Jahre nicht in den Süden Chiles geschafft. Schließlich hat die Neugierde gesiegt und ich bin doch hingefahren. Ich hatte keine Ahnung, was kilometerweites Wandern für eine Anfängerin bedeutet. Torres del Paine ist ein Wunder. Und war überwältigt – kam aber immer wieder an meine Grenzen.
Es war einer dieser großen Träume: Eines Tages fahre ich nach Patagonien und lerne den Nationalpark Torres del Paine kennen. Aber noch nicht jetzt. Vielleicht nächstes Mal. Viele Jahre habe ich die Reise in den Süden Chiles verschoben. Ich war meistens lieber in Valparaíso, im Norden… und in Santiago.
Das könnte auch daran liegen, dass ich wandern einfach nicht mag. Und in Torres del Paine bleibt einem nichts anderes übrig. Aber die Sehnsucht war da – und so sind wir im Februar 2019 in den Nationalpark gefahren, um den W-Trek zu wandern.
Die Buchung: Kompliziert
Vorher habe ich mir viele Artikel im Internet durchgelesen und hatte den Eindruck: Das ist machbar für Menschen, die fit sind. „Nun gut: Dann sollte das ja machbar sein,“ habe ich mir gedacht. Schließlich mache ich mehrmals die Woche Sport und Yoga. Aber ich gebe zu: Wandern war ich nur als Kind mal mit meinen Eltern. Und habe die ganze Zeit dabei gedacht: „Wann sind wir endlich da?“ Dann wenn alle um mich herum jauchzen und die Natur loben, konnte ich die Zeit wandernd nie genießen. Aber trotzdem wollte ich es ausprobieren. Schließlich ändern sich die Menschen mit den Jahren. Es könnte ja sein, dass wandern auf einmal voll mein Ding ist?
Bei der Buchung vergeht die Vorfreude
Schon bei der Buchung vergeht mir allerdings fast die Vorfreude auf die Reise. Überall der Tipp: Bucht eure Reise vorher – vor allem die Unterkünfte sind lange im Voraus ausgebucht. Für uns stand fest, dass wir nicht zelten wollten. Denn dann hätten wir neben der Kleidung auch noch Zelt und Schlafsack auf der Wanderung mitschleppen müssen. Außerdem wollten wir nach den langen Wandertagen gerne in einem Bett schlafen.
Bei der Buchung haben wir uns für ein Reise-Paket entschieden, damit vor der Anreise alles steht. Der email-Verkehr mit Fantastico Sur war allerdings so zäh und schleppend, dass ich mehrfach alles abblasen wollte.
Jede email begann mit den Worten: „Kindly inform you that….“ und dahinter fehlten regelmäßig Informationen. Oder in dem Buchungsangebot wurde bei den Daten geschludert und es fehlte eine ganze Übernachtung.
Nach mehreren Wochen (!) hin und her schreiben, hatten wir dann endlich die passende Buchung beisammen – und Fantastico Sur hatte von uns gut 1000 Euro pro Nase. Günstig ist dieser Urlaub sicher nicht. Aber da war wirklich alles inklusive: Von der Übernachtung über Tickets bis zur Vollpension und dem Welcome Drink.
Der W-Trek
Mit dem Flugzeug sind wir nach Punta Arenas geflogen, von hier ging es weiter mit dem Bus nach Puerto Natales. Dort haben wir in einer kleinen Ferienwohnung geschlafen – die Chilenen nennen diese Hütten „Cabañas“. Bei der Buchung war es uns wichtig, dass wir den Großteil unseres Gepäcks für die Zeit der Wanderung dort lassen konnten. Denn es bietet sich an nur einen kleinen Rucksack mit in den Nationalpark zu nehmen – und keinen 50 Liter Rucksack mit in den Nationalpark zu nehmen. Deshalb haben wir vor und nach der Wanderung in der selben Unterkunft übernachtet.
Vor und nach der Tour: Die selbe Unterkunft
Unser Host war darauf eingerichtet, dass viele Reisende Rucksäcke bei ihm einschließen möchten. Das war kein Problem. Und am Abend konnten wir noch unser Reise-Paket im Bus-Terminal abholen: Taschen voller Voucher für unsere Übernachtungen, den Bus, die Fähre und den Eintritt. Einen Guide werden wir nicht haben – aber dafür viele Karten. Und dann ging das Abenteuer los.
Kurz vorab: Es ist krass. Viel schwerer als ich gedacht habe. Es ist weit. Es ist heftig. Aber die Natur ist unbeschreiblich schön!
Tag 1 Ankunft in Torres del Paine
Am frühen Nachmittag geht es für uns in den Nationalpark. Wir fahren mit einem Bus in Puerto Natales ab und schon die Fahrt in den Park ist atemberaubend: Überall Lamas und andere wilde Tiere in der Natur.
Und am späten Nachmittag kommen wir in der ersten Unterkunft an: Refugio Torre Central und Torre Norte. Zwei Gebäude im Jugendherbergsstil mit Blick auf die Torres. Der Ausblick ist wirklich der Hammer: Vom Essensraum kann man die Torres von weitem sehen. Der Wahnsinn!
Und die Verpflegung ist überraschend gut: Das Essen wird an den Tisch gebracht und hinterher sind wir komplett satt und müde. Dabei sind wir an dem Tag noch nichtmal gewandert! Wir übernachten in einem kleinen Sechsbettzimmer: Drei Doppelstockbetten stehen darin und große Holzboxen, in denen man etwas einschließen könnte, wenn man ein Vorhängeschloss dabei hätte. Hatten wir nicht. In der Nacht schlafe ich erst spät ein, denn ich war aufgeregt und habe keine Ahnung was mich am nächsten Tag erwartet.
Tag 2 Wanderung zu den Torres – Base Torres Lookout Point
Um kurz nach 8 Uhr morgens laufen wir los in Richtung Torres. Die Rucksäcke können wir in der Unterkunft lassen.
Der Weg führt uns einmal rauf in das Tal zum Ausblickspunkt neben den berühmten Felsen und wieder zurück. Klingt machbar. Allerdings fängt es nach 5 Minuten an zu regnen. Immer mehr. Es hört gar nicht mehr auf.
Der Weg geht immer wieder bergauf. Irgendwie logisch, denn die Torres sind nunmal ein gutes Stück weiter oben. Aber ich merke bei jedem Schritt wie wenig ich das gewöhnt bin. Und immer wieder kommen diese Gedanken: „Was finden andere Menschen am Wandern so toll?“
„Was finden andere Menschen am Wandern toll?“
Nach zwei Stunden kommen wir im Refugio Chileno an. Die einzige Hütte auf dem Weg, wo wir uns kurz aufwärmen und unsere Flaschen mit Trinkwasser auffüllen könnten. Eigentlich sind wir alle schon durchnässt, aber der Weg ist noch weit. Ich überlege kurz dort zu bleiben. Aber mein eiserner Wille macht mir einen Strich durch die Rechnung und sagt: „Jetzt bist du EINMAL hier. Jetzt gehst du da auch hoch!“ Also bin ich weitergelaufen. Durch den Wald, am Fluss entlang.
Irgendwann lassen wir die Bäume hinter uns. Der Weg führt über große Steine. Und wir klettern in großen Schritten den Berg hinauf. Ich höre auf zu denken und setze nur noch einen Schritt nach dem anderen. Immer nach oben. Als ich die Kälte und die Füße nicht mehr spüren kann, kommen wir endlich oben an den Torres an. Im Eisregen. Und die Spitzen der Torres hängen in den Wolken.
Im Eisregen zu den Torres
Nein, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Nach einer kurzen Verschnaufpause wird uns klar, dass wir den ganzen Weg ja auch noch zurücklaufen müssen. Mein Bruder ist der einzig Wandererprobte in der Truppe. Er motiviert uns und nach einer gefühlten Ewigkeit verlassen wir das Tal und sehen die Unterkunft von weitem. Und die Weite der Natur. Auf einmal hört der Regen auf und tut so als wäre nichts gewesen. Ich muss lachen. Das Leben ist ironisch.
Und am nächsten Morgen leuchten die Torres im Sonnenschein. Man weiß nie welches Wetter man in Torres del Paine bekommt.
Strecke zu den Torres: 20 Kilometer – 10 hin und 10 zurück.
Tag 3 Sector Frances
Die Sonne scheint zum Glück nicht nur bei den Torres. An unserem zweiten großen Wandertag ist das Wetter das komplette Gegenteil zum Vortag. Der Wind weht stark, der Himmel ist blau und wir laufen los. Heute haben wir das ganze Gepäck dabei, da wir zur nächsten Unterkunft wandern: Zu den Domos Frances.
Nach kurzer Zeit laufen wir an der dunkelblauen „Laguna Inge“ vorbei. Der Blick auf Wasser beruhigt mich sofort. Ich kann ewig am See oder am Meer entlang laufen – durch die Berge fällt es mir deutlich schwerer. Ein paar Meter weiter kommt das nächste Blau dazu: Der türkise Lago Nordenskjöld. Mit Tränen in den Augen bewundere ich das Farbenspiel des dunkel- und hellblauen Wassers. Es ist so viel schöner als alles, was ich mir bis dahin vorstellen konnte.
Der Blick auf das Wasser treibt mich an
Liegt es am Wetter? An der langen Wanderung am Vortag? An den Gewässern? Ich weiß es nicht. Aber an diesem Tag tragen mich meine Füße wie von selbst. Der Kopf schaltet sich ab, ich laufe vor mich hin und bin komplett im Moment. Für viele Stunden lang geht es bergauf – bergab am See entlang.
Vorbei an den berühmten Bergen – den Cuernos del Paine.
Laut Karte müssten wir längst da sein. In unserer Vierer-Truppe wird die älteste Teilnehmerin (66 Jahre alt) müde. Wir lagern ihr Gepäck um und einer bleibt bei ihr damit sie nicht hinfällt. Im Park gibt es kein Handynetz und fast keine Hütten. Ich habe keine Ahnung wie man hier – im Falle des Falles – Hilfe bekommen würde. Die Wege sind schlecht markiert. Und zwei Mal verlaufen wir uns kurz. Das kostet Zeit und Kraft. Inzwischen sind wir alle K.O. Und nach jeder Wegbiegung halten wir sehnsüchtig nach der Unterkunft Ausschau.
Hinter jedem Hügel: Hoffnung auf die Unterkunft
Mein Bruder flucht und sagt nach jedem Hügel: „Eigentlich hätte die Unterkunft eben da sein müssen.“ So geht das Spiel drei Mal – und dann sehen wir plötzlich das rettende Schild: Domos Frances. Das sind Unterkünfte, die aussehen wie große Iglu-Zelte. In unserem haben acht Personen Platz – aufgeteilt in zwei Bereiche. Zu viert haben wir deshalb eine Seite eines Domos ganz für uns allein. Das fühlt sich fast nach Luxusvilla an! In der Nacht schlafen wir wie Steine. Für uns war das mit Abstand die schönste Unterkunft mit Blick auf den magischen türkisen See.
Strecke zu den Domos Frances – laut Karte 14 km Kilometer. (Die Karten widersprechen sich etwas. Es war gefühlt weiter als angegeben.)
Tag 4 Frances Valley
An diesem Tag gibt es verschiedene Optionen: Wer nicht alles sehen möchte, kann abkürzen und den Abstecher in das Valle Frances überspringen. So macht es die Älteste in unserer Gruppe. Wir anderen drei gehen auch noch in das Tal hinauf. Allerdings nicht bis zum Ende der Strecke. Heute entscheide ich mich für meine Kräfte. Ich bin nicht besonders fit und mein Körper zeigt mir meine Grenzen auf. Deshalb gehen Raphael und ich nur bis zum ersten Aussichtspunkt im Tal. Vorbei an Bächen und durch die Wälder. Immer weiter nach oben – bis wir schließlich auf der Plattform stehen. Vor uns einer dieser wunderschönen Berge. Hin und wieder kracht eine Schneelawine von den Felsen in der Ferne. Ein unglaublicher Anblick – und ein unvergesslicher Sound
(Mein Bruder – der fitteste Wanderer unter uns – geht bis zum zweiten Aussichtspunkt im Tal. Aber hinterher klagt sogar er über Knieschmerzen.)
Abgebrannte Bäume erinnern an Feuer im Park
Danach geht es Schritt für Schritt in Richtung Paine Grande Sector. Mal durch den Wald. Mal über schmale Wege, die wie Stege in die Natur gebaut worden sind. Auf einmal wird die Umgebung gespenstisch: Mitten in der eigentlich sattgrünen Natur stehen viele abgebrannte Bäume – verstorben bei den großen Bränden im Park. Es ist unglaublich traurig zu sehen, wieviel durch ein Feuer von Touristen im Park zerstört worden ist.
Aber in dem Anblick befindet sich auch Hoffnung: Um die toten Bäume herum, wachsen viele neue Planzen und erobern sich ihr Gebiet zurück. Immer wieder bleiben wir stehen und bewundern das was die Natur hier schafft.
Die Pflanzen erobern sich ihr Gebiet zurück
An diesem Abend übernachten wir im Refugio Paine Grande. Er ist von anderen Betreibern als die bisherigen Unterkünfte und etwas günstiger. Allerdings ist er auch einfacher als die anderen Herbergen: Das Essen wird im „Mensa-Style“ auf dem Tablett serviert. Und die sanitären Anlagen sind dreckig. Aber für eine Nacht ist das zu verschmerzen. Der Blick aus unserem Zimmer dagegen ist der Wahnsinn: Vom Bett aus kann man den wunderschönen Lago Pehoé bewundern.
Tag 5 Glacier Grey
An diesem letzten Tag sind drei von uns raus und machen Pause. Nur mein Bruder macht noch die letzte Wanderung zum Gletscher. Allerdings geht auch er nicht ganz bis zum Ende. Die Zeit ist knapp, denn wir müssen unsere Fähre bekommen. Und er möchte sich nicht hetzen.
Ich weiß bis heute nicht, ob ich mich an dem Tag noch hätte zwingen sollen, die Strecke zu laufen. Aber ich habe auf meinen Körper gehört. Und der brauchte dringend Ruhe. Das kann nicht falsch sein. Klar: Streng genommen, habe ich einen Teil der Strecke „verpasst“. Aber was bedeutet das am Ende schon?
Habe ich etwas „verpasst“, weil ich einen Tag aussetze?
Für mich war dieser Tag ganz wunderbar – und zwar so wie er war. Wir haben stundenlang auf den Lago Pehoé und sein intensiv türkises Wasser geschaut. Und vor der Unterkunft kleine Füchse beobachtet. Dieser Ort am See ist unglaublich magisch. Und als wir auf der Fähre stehen und in Richtung Bus zurückfahren, bin ich dankbar für jeden Moment, den ich im Park erleben durfte. Dankbar und voller Freude.
Und Raphael und ich schauen uns an und sagen beide: „Klasse! Eine großartige Erfahrung. Und toll, dass wir nie wieder wandern müssen.“
Für wen lohnt sich Torres del Paine?
Ihr liebt die Natur? Und seid schon durch die Alpen gewandert? 20 Kilometer laufen am Tag machen euch nichts aus? Ihr liebt die Herausforderung und klettert auch gerne mal kilometerweit über große Steine auf deinen Berg? Mit Rucksack wandern, ist für euch kein Problem?
Dann seid ihr in Torres del Paine genau richtig. Als Wander-Anfängerin bin ich hier an meine Grenzen gekommen. Das hatte ich vorher nicht erwartet. Aber an meinem Bruder habe ich gesehen, dass es für Leute mit Erfahrung, die wandern lieben, eins der besten Abenteuer überhaupt ist.
Tipps für euren Besuch im Nationalpark
- Überlegt euch vorher welche Unterkünfte am besten zu euch passen: Wollt ihr zelten oder in Betten schlafen? Wenn ihr zeltet, dann habt ihr natürlich etwas mehr zu tragen. Ihr spart aber auch Geld.
- Nehmt wenige Klamotten mit. Je weniger ihr tragen müsst, desto besser. Allerdings solltet ihr Kleidung für jedes Wetter dabei haben. Und gute Wanderschuhe.
- Sonnenmilch, Blasenpflaster, Mütze, Handschuhe, Schal, wasserdichte Jacke … all das sollte bei eurer Ausrüstung nicht fehlen
- Im Park gibt es kein Mobilfunknetz. Und das WLAN in den Unterkünften ist teuer. Stellt euch am besten vorher auf eine Digital-Detox-Kur ein.
Fotos: Raphael Pi Permantier & Ismael Permantier