Wie wäre es gekommen, wenn ich mich damals für den anderen Job entschieden hätte? Wenn ich nach dem Abi wirklich auf die Musicalschule gegangen wäre und nicht an die Uni Köln? Wo wäre ich wohl jetzt, wenn ich nach dem Auslandsemester nicht zurückgekommen wäre? Hier ein paar meiner Gedanken dazu.
Es gibt so unfassbar viele Möglichkeiten. Andauernd kommen wir an eine Kreuzung und müssen uns entscheiden und an einem Sonntag wie heute, da denke ich gern darüber nach, welche vielen anderen Leben ich noch hätte leben können – wenn ich mich denn anders entschieden hätte. Das heisst natürlich auch, dass ich mich kurz frage: „Hätte alles irgendwie besser oder einfacher sein können?“
Das Beste wäre natürlich, sich einfach über das zu freuen, was man gerade hat. Nur ist das tausendfach schwerer als es klingt. Schmeckt doch das Selbstmitleid manchmal besser als das dritte Bier und leichter runter geht es auch! Aber wem bringt es was? Am nächsten Tag nach dem Selbstmitleid ist es wie nach sieben Bier: Matschig, verkatert und kein bisschen glorreicher als vorher. That’s what it is. That’s life.
Aber spielen wir es durch. Was wäre gewesen wenn?
Was wäre gewesen, wenn ich mich wirklich an der Musicalschule beworben hätte? Danach wäre ich mit etwas Glück im Ensemble von König der Löwen in Hamburg gelandet und hätte ein paar Jahre lang hinten rechts in der Ecke gestanden, um den Teil eines Elefanten zu spielen und im Chor zu singen. Toll! Klingt kein bisschen nach Ruhm und Freude jeden Abend, wenn ich nach Hause gekommen wäre, meine Füße geschmerzt hätten. Und dann hätte ich mir mit Sicherheit furchtbar leid getan, weil ich keine Freunde finde in Hamburg. Denn ich hätte ja nie Zeit gehabt, wenn alle anderen Feierabend haben.
Gut, dass ich das nicht getan hab! Puh!
Backpacker für immer?
Oder aber ich wäre in Lateinamerika hängen geblieben – nach dem Auslandssemester. Hätte nen Job in einem Hostel angenommen, weil da jeden Abend Party war. – Weil die Backpacker alles locker nehmen und nicht an morgen denken. – Übermorgen existiert überhaupt nicht. Klar – durch die verklärte Brille sieht es immer alles easy und fancy aus, all das was wir doch nicht getan haben. Dann verklärt es unter einem Nostalgiefilter. Aber ohne das – #nofilter: Realistischerweise hätte ich das genau eine Woche ausgehalten, denn wenn ich das dritte mal ein vollgekotztes Klo hätte putzen müssen, wäre der Rucksack schneller gepackt gewesen, als ich es mir vorstellen kann. Und wahrscheinlich wäre es dann nach Hause gegangen.
Hätte, hätte Fahrradkette!
Ja, dieser Text lebt vor allem durch „hätte, hätte Fahrradkette.“
Aber was wäre gewesen, wenn ich nach dem Studium nicht zum Radio gegangen wäre? Wenn ich mich nicht diesem „Allesistgut,wennonair-Gefühl“ hingegeben hätte, was ich vor meiner Zeit beim Radio gar nicht kannte? Wenn ich mich nicht auf Volontariate beworben hätte – und die ein oder andere Absage eingesteckt hätte und trotzdem weitergemacht hätte bis es geklappt hat? – Um danach dann in eine Stadt zu ziehen, in den Süden von Deutschland, wo ich so gut wie niemanden kannte?
Ich weiss nicht wo ich sonst wäre. Aber ich bin hier: In Karlsruhe. Meistens. Wenn ich gerade nicht reise. Und wenn ich die Nostalgiebrille ausziehe und ehrlich zu mir selbst bin, dann weiss ich warum: Weil ich den Mut hatte das zu tun, was sich richtig angefühlt hat. – Ich meine, was sich am vollkommensten angefühlt hat, von allem was ich bis dahin getan habe. – Das was meine größte Passion ist: Radio. Und ich bin froh, dass ich es getan habe. Auch wenn ich abends manchmal fluchend und fertig auf dem Bett liege. Beim Radio habe ich gelernt, dass sich Arbeit nicht wie Arbeit anfühlen muss. Und das ist ein Geschenk. – Zumindest für jetzt.
Radio- und Blogliebe
Aber ich habe auch gemerkt: Die vielen Optionen, die einen nostalgisch werden lassen, zeigen auch, dass es wahrscheinlich nicht nur einen Weg ist, der gut ist für uns. Aber es gibt nur einen, den wir für den Moment einschlagen können. Immer eins nach dem anderen. Und manchmal lassen sich Passionen kombinieren und weiterspinnen. Immer wieder höre ich Leute, die jammern, dass sie gern noch dies und jenes machen würden: Einen Blog, ein Café eröffnen, einen chinesisch Kurs, eine Weltreise und sie sagen häufig: Aber leider habe ich keine Zeit. Es tut mir leid, aber daran glaube ich nicht. Ich habe gemerkt: Wenn ich etwas wirklich wollte, habe ich dafür immer Zeit gefunden. Nicht immer sofort, aber irgendwann. Und deshalb gibt es nun – nebenher – diesen Blog und die Videos. Denn einen Reiseblog wollte ich schon sehr lange nebenher haben. Und jetzt ist es soweit. Kommt mit auf die Reise, wenn ihr mögt.
Das großartige am Leben ist doch, dass wir immer wieder neue Chancen bekommen. Wir können uns immer wieder neu erfinden – auch wenn die Entscheidungen manchmal unüberwindbar schwer erscheinen. Manchmal verstehe ich erst Jahre später, warum ich mich in einem Moment für das eine entschieden habe. Und das beruhigt dann. Und: Die nächste Kreuzung, mit der nächsten großen Entscheidung kommt bestimmt. Dann kann sich wieder alles ändern – denn der Weg ist weit und unberechenbar. Das ist das Salz im Leben.